III. culpa in contrahendo, §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin))

1. Vorvertragliches Schuldverhältnis

Dies bestimmt sich nach § 311 Abs. 2 BGB. Für den § 311 Abs. 2 BGB ist es unerheblich, ob später zwischen den Parteien ein Vertrag geschlossen wird oder nicht. Es entsteht durch die „Aufnahme von Vertragsverhandlungen gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB oder nach Nr. 2 und Nr. 3 bereits vorab durch jeden vorbereitenden Kontakt zwischen den Beteiligten. Die Nr. 3 schafft dabei durch seine Formulierung „ähnliche geschäftliche Kontakte“ einen relativ weiten Rahmen und verdeutlicht zugleich, dass dieser Kontakt geeignet sein muss, ein Schuldverhältnis entstehen lassen zu können. Das vorvertragliche Schuldverhältnis endet mit Abbruch des geschäftlichen Kontakts zwischen den Beteiligten oder aber mit einem Vertragsschluss zwischen diesen. Es definiert sich vor allem dadurch, dass keine Primäransprüche, sondern allein nicht-leistungsbezogene (Neben-) Pflichten vorliegen.

2. Anwendbarkeit

a) neben einer Anfechtung

Die Anwendbarkeit der cic ist vor allem problematisch, wenn die vorvertragliche Pflichtverletzung z. B. in der Erweckung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums liegt. In diesen Fällen liegt neben einem eventuellen Anspruch aus cic ebenso die Möglichkeit der Anfechtung vor, sofern durch diesen Irrtum der andere zum Abschluss des Vertrages bestimmt wurde. Problematisch sind hierbei die unterschiedlichen Verjährungsfristen sowie subjektiven Voraussetzungen der Ansprüche. Die Anfechtung aufgrund einer arglistigen Täuschung verjährt nach § 124 Abs. 1 BGB und ist innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Täuschung bzw. Ende der Zwangslage bei einer Drohung zu erklären. Der Anspruch aus der cic unterliegt hingegen der regelmäßigen Verjährung gem. § 195 BGB und kann damit innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden. Für die subjektiven Voraussetzungen fordert die Anfechtung eine vorsätzliche Täuschung bzw. widerrechtliche Drohung, wohingegen für die cic jedes fahrlässige Verursachen genügt und gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird. Es drohen die strengen Voraussetzungen der Anfechtung leerzulaufen, sodass es fraglich ist, ob neben der Möglichkeit einer Anfechtung die cic überhaupt Anwendung finden kann:

e.A. (BGH) nimmt eine uneingeschränkte Anwendbarkeit der cic neben der Anfechtung an.

    Argumente:
    - Nach dieser Ansicht werden zwei unterschiedliche Schutzrichtungen verfolgt. Die cic diene dem Schutz des Vermögens, während die Anfechtung die freie Willensbildung schütze. So kann die Anfechtung unabhängig von einem Eintritt eines Schadens geltend gemacht werden, während die cic einen (Vermögens-) Schaden voraussetzt.

a.A. sieht die Anfechtungsvorschriften als leges speciales an, sodass die cic keine Anwendung in solch gelagerten Fällen finden kann.

    Argumente:
    - Mit Bezug auf den § 253 Abs. 1 BGB setze eine Naturalrestitution nicht zwangsläufig einen Vermögensschaden voraus. Nach diesem kann ein Schadensersatz auch in Geld erfolgen. Weiter werde auch ein Anfechtungsberechtigter nur aufgrund eines für ihn bestehenden (idR wirtschaftlichen) Nachteils die Anfechtung erklären.
    - Weiter versteht der BGH den Vermögensschaden sehr weit als „subjektiver Schadenseinschlag“, sodass ein solcher bereits vorliegen kann, wenn die Vermögensdispositionen beeinträchtigt sind. Die Argumentation des BGHs könne demnach nicht überzeugen.
    - Eine Anwendung beider Rechtsinstitute könne demnach nicht überzeugen und ist abzulehnen, da ansonsten die Vorschriften der Anfechtung leerlaufen würden.

    Streitentscheid:
    - Es ist anzumerken, dass keine strikten Grenzen zwischen den Schutzbereichen gezogen werden können. Die cic schützt alle nicht-leistungsbezogenen Nebenpflichten und fordert eine gegenseitige Rücksichtnahme. Von dieser kann die freie Willensbildung als mitumfasst angesehen werden.
    a) Für den Fall einer möglichen Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB kann die geringe Schutzbedürftigkeit des Täuschenden bzw. Drohenden angeführt werden.
    b) Für eine Anfechtung aus § 119 BGB – in dessen Rahmen man dem anderen immer den Vorwurf machen kann, er hätte sich besser informieren müssen – kann vorgebracht werden, dass der Schadensersatz aus § 122 BGB eventuell zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Dies resultiert aus dem § 122 Abs. 2 BGB und dem darin enthaltenden Veranlasserprinzip, welches ein „Alles oder Nichts“ Prinzip gleicht. Dabei können Einzelfälle die Anwendung des § 254 BGB erfordern, um eine flexiblere Opfergrenze und Mitberücksichtigung der Handlungen iSd Verschuldensprinzip beider Seiten zu ermöglichen.

Wie in den meisten Streitentscheiden ist nicht die Lösung das ausschlaggebende, sondern dass ihr den Streit kennt und argumentativ eure Meinung darlegen sowie begründen könnt. Wirklich relevant wird dies nur in den Fällen, in denen die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen ist oder aber nur eine fahrlässige Täuschung vorliegt. In allen anderen Fällen könnt ihr am Ende der Darstellung des Meinungsstreits das Ergebnis sogar dahinstellen bzw. offenlassen.

b) iRe Gefälligkeitsverhältnisses

aa) Abgrenzung Gefälligkeit von Rechtsverhältnis

Bei Gefälligkeiten handelt es sich um Handlungen im außerrechtlichen, rein gesellschaftlichen Bereich. Grundlegendes Merkmal ist die Unentgeltlichkeit. In solch unentgeltlichen Fällen wollen die Parteien idR keine rechtlichen Verbindlichkeiten eingehen, sodass mangels eines Rechtsbindungswillens der Parteien keine Willenserklärungen vorliegen. Der Rechtsbindungswille ist folglich das entscheidende Merkmal der Abgrenzung einer (unentgeltlichen) Gefälligkeit von einem (ebenso unentgeltlichen) Vertrag. Für die Feststellung bzw. Ablehnung eines Rechtsbindungswillens der Parteien werden iRe Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB analog nach der sog. „Bündeltheorie“ ein Bündel von objektiven Indizien berücksichtigt. Das hat den einfachen Hintergrund, dass sich der subjektive Wille, sich rechtlich binden zu wollen, im Nachhinein nicht mehr feststellen bzw. beweisen lässt. In den meisten Fällen machen sich die Beteiligten zunächst auch gar keine Gedanken über die rechtliche Relevanz ihrer Handlungen bzw. den daraus möglicherweise resultierenden Konsequenzen. Zu einem späteren Zeitpunkt wird dies idR dann in der für sie am günstigsten Version interpretiert. Deshalb ist zu prüfen, wie sich das Verhalten des Erklärenden objektiv nach der Verkehrsanschauung und den Umständen für einen Dritten dargestellt hat.

Der BGH zieht in seiner Grundsatzentscheidung folgende Indizien für die Feststellung heran:

    1. Art der Gefälligkeit, dessen Grund sowie Zweck
    2. ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung bzw. die Interessen des Empfängers
    3. die Umstände unter denen sie erfolgt, z. B. Alltagsumstände
    4. Wert einer (evtl.) anvertrauten Sache
    5. die bestehende Interessenlage bzw. das Vertrauen auf die Zusage
    6. die erkennbar bestehende Gefahr für den Leistenden sowie die Zumutbarkeit eines Schadensersatzrisikos für diesen

bb) Abstufung eines Gefälligkeitsverhältnisses

Neben den zwei „Extremen“ (wirtschaftlicher) Vertrag und reine Gefälligkeit des täglichen Lebens gibt es noch die Form des Gefälligkeitsvertrages und als Zwischenform das Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter. Zu bestimmen sind die einzelnen Formen an dem vom Gefälligkeitsvertrag bis hin zur reinen Gefälligkeit im sozialen Bereich stetig abnehmenden Rechtsbindungswillen. Entscheidend ist eine solche Abgrenzung und Bestimmung der einzelnen Abstufungen für eine eventuelle Inanspruchnahme bzw. Haftung aus diesem.

So verpflichtet sich eine Partei iRe Gefälligkeitsvertrages (z. B. Auftrag, Leihe oder unentgeltliche Verwahrung) zu einer entsprechenden Leistung. Der Gläubiger kann sowohl einen Primär- als auch Sekundäranspruch geltend machen. In einem Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter möchten die Parteien zwar nicht zur Leistungserbringung verpflichtet sein, aber der rechtsgeschäftsähnliche Charakter des Verhältnisses übersteigt einen reinen sozialen Bereich derart, dass sich aus ihm Schutzpflichten ergeben. Bei der Verletzung einer solchen könnte sich demnach eine Haftung aus cic ergeben (dazu gleich mehr). In einem Gefälligkeitsverhältnis mit rein gesellschaftlichen bzw. sozialen Charakter scheiden Primäransprüche – mangels jeglicher vertraglichen Bindung – aus. Ob bei diesen Sekundäransprüchen d.h. ein Schadensersatz aus cic vorliegen kann, ist umstritten (siehe hierzu nachfolgend).

cc) Anspruch aus cic iRe Gefälligkeitsverhältnis

Fraglich ist demnach, ob bzw. wann der Empfänger einer Gefälligkeit iRe Gefälligkeitsverhältnisses bei Verletzung einer Schutzpflicht einen Anspruch aus cic hat.

e.A. verneint einen Anspruch mangels Rechtsbindungswillens bei einem rein sozialen Kontakt. So müsse auch für einen Anspruch aus cic nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein „ähnlich geschäftlicher Kontakt“ bzw. ein gewisser rechtsgeschäftsähnlicher Charakter in Form eines Rechtsbindungswillens vorliegen.

a.A. erachtet einen Anspruch für möglich und bezieht sich dabei ebenfalls auf den § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der von „ähnlichen geschäftlichen Kontakten“ spricht. Es können sich demnach aus solch ähnlichen Kontakten ebenfalls Schutz- und Treuepflichten ergeben. Aber auch diese Ansicht lässt rein sozialen Kontakt nicht genügen, sondern fordert, dass ein entsprechender Rechtsbindungswille hinsichtlich der Integritätsschutzpflichten besteht.

Für ein Gefälligkeitsverhältnis im rein sozialen Bereich bleibt damit nach beiden Ansichten nur das Deliktsrecht als Minimalrecht, während sich in einem Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter ein Schadensersatzanspruch aus cic ergeben kann. Hier liegt demnach der Knackpunkt in der Bestimmung, wann eine Gefälligkeit rein sozial und wann rechtsgeschäftsähnlich ist. Für die Abgrenzung hilft die „Bündeltheorie“ ungemein.

dd) Haftungsumfang

Fraglich ist für einen Schadensersatzanspruch aus cic, ob eine Haftung vollumfänglich erfolgen kann oder eventuell Haftungsprivilegierungen eingreifen können.

(1) Nach Gesetz

Strittig ist, ob der Haftungsmaßstab gem. §§ 521, 599, 690 BGB analog gemildert sein könnte.

Pro: Es handelt sich bei der Schenkung, Leihe und Verwahrung um unentgeltliche Geschäfte, die einer Gefälligkeit ähneln, sodass eine Schlechterstellung für die „reine“ Gefälligkeit nicht gerechtfertigt erscheint und eine „Übertragbarkeit“ angenommen werden könnte.

Contra: IRd Auftrages sieht das BGB keine Haftungsmilderung vor, sodass sich aus den oben benannten Vorschriften demnach kein allgemeiner Rechtsgedanke ableiten lässt. Es handelt sich folglich um eine bewusste Regelung des Gesetzgebers, sodass es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.

(2) Gem. stillschweigend vereinbartem Ausschluss

Nach der Rechtsprechung könne ein Haftungsausschluss in Ausnahmefällen (zumindest für fahrlässiges Verhalten) im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden. In der Regel denken die Parteien in einem solchen Gefälligkeitsverhältnis gar nicht über die möglichen Konsequenzen nach. Im Fall eines Schadenseintrittes haften dann primär die Versicherungen der Parteien und kommen für eventuelle Schäden auf. Sofern jedoch der Schädiger über keinen Versicherungsschutz verfügt und „besondere Umstände“ vorliegen, kann ein solcher Ausnahmefall angenommen werden, sodass eine Haftungsprivilegierung bzw. Ausschluss der Haftung angenommen werden kann. Andernfalls würde es nach Ansicht der Rechtsprechung. auch nur der Versicherung des Geschädigten zugutekommen, die im Fall einer Haftung des Schädigers nicht für die Schäden aufkommen müsste.

ee) Gesamtübersicht Stufenverhältnisses iRd Gefälligkeitsverhältnisse

Schaubild 2 Schuldrecht Allgemeiner Teil

3. Pflichtverletzung

Im Rahmen einer cic bezieht sich die Pflichtverletzung auf die Verletzung einer nicht-leistungsbezogenen Nebenpflicht iSd § 241 Abs. 2 BGB.

4. Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB

Wird wie bereits erläutert gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, der Schuldner muss sich entsprechend exkulpieren.

5. kausaler Schaden

Der Schaden muss in kausaler und zurechenbarer Weise entstanden sein und bezieht sich auf einen Schaden, der gerade durch die verletzte Pflicht verhindert werden sollte. Es ist somit zu fragen, wie der Gläubiger ohne die Pflichtverletzung im vorvertraglichen Verhältnis dar stehen würde. In der Regel ist er dann so zu stellen, als hätte er nie etwas von diesem vorvertraglichen Schuldverhältnis gewusst. Es handelt sich dabei um den Vertrauensschaden bzw. das sog. Negative Interesse.

Vorsicht: Der Schadensersatz aus cic beschränkt sich nicht auf das negative Interesse, sondern es wird grundsätzlich der kausal verursachte Schaden ersetzt. Das Entscheidende ist, dass die Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB vor genau solchen Verletzungen schützen sollte.
Beispiel: Der 13-jährige B klettert durch ein Loch im Zaun auf eine Baustelle und verletzt sich dort beim Spielen. Das sorgfältige Absperren und entsprechende Kontrollieren einer Baustelle gehört zu den Schutzpflichten eines Bauleiters, die er vorliegend verletzt hat.