II. Beendigung des Schuldverhältnisses

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin))

1. Rücktritt

Der Rücktritt macht einen Vertrag rückgängig und soll den Status quo d.h. die vor dem Vertragsschluss bestehende Rechtslage wiederherstellen. Die noch bestehenden Erfüllungsansprüche erlöschen für die Zukunft (ex nunc) nach § 346 BGB, der auch als entsprechende Einwendung geltend gemacht werden kann. Die bereits erbrachten Leistungen sind zurück zu gewähren, ebenfalls nach § 346 Abs. 1 BGB, der dann auch als entsprechende Anspruchsgrundlage herangezogen wird.

Wichtig: Durch die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB wird nicht der Vertrag beseitigt, sondern er wandelt sich in ein Rückgewährschuldverhältnis um.

Es handelt sich daher um ein Gestaltungsrecht, d.h. um ein subjektives Recht, das unmittelbar auf ein bestehendes Rechtsverhältnis Einfluss nimmt und dieses ändert. Es wird grundsätzlich durch eine Willenserklärung des Berechtigten geltend gemacht. An dieser Stelle soll zunächst nur verdeutlicht werden, dass der Rücktritt auch als mögliche Einwendung fungieren kann.

2. Kündigung

Dauerschuldverhältnisse können zum einen auf eine bestimmte Vertragslaufzeit vereinbart werden und enden dann mit dessen Ablauf oder sie werden ohne eine explizite Vertragslaufzeit auf unbestimmte Zeit geschlossen. Im letzteren Fall haben die Parteien dann durch die Kündigung die Möglichkeit, den Vertrag einseitig zu beenden. Neben einer Reihe von speziell geregelten Kündigungsvorschriften liegt ein allgemeines Kündigungsrecht in dem § 314 BGB.

Für den § 314 BGB muss ein Dauerschuldverhältnis vorliegen sowie eine Kündigungserklärung und ein wichtiger Grund gem. § 314 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch bei der Kündigung handelt es sich um ein Gestaltungsrecht. Sie wirkt dabei ex nunc und beendet das Dauerschuldverhältnis, ohne eine Rückabwicklung der bereits erbrachten Leistungen vorzunehmen. Darin liegt auch der entscheidende Unterschied zu einem Rücktritt. Die ex nunc-Wirkung hat außerdem zur Folge, dass bisher noch nicht erfüllte Leistungspflichten aus der Zeit des Dauerschuldverhältnisses (z. B. noch ausstehende Mietzahlungen) und etwaige Rückgabeverpflichtungen (z. B. § 541 Abs. 1 BGB) weiterhin fortbestehen.

3. Widerruf

Bei sogenannten Verbraucherverträgen, d.h. bei einem Vertrag zwischen einem Verbraucher gem. § 13 BGB und einem Unternehmer § 14 BGB wird dem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht eingeräumt, das ihm ermöglicht, durch eine einseitige Erklärung die Bindung an den von ihnen geschlossenen Vertrag zu beenden, § 355 Abs. 1 S. 1 BGB.

Wichtig: Dieses Widerrufsrecht steht dem Verbraucher auch bei nichtigen Verträgen zu. Denn dem Verbraucher muss es möglich sein, sich vom Vertrag schnellstmöglich und in einfachster Weise lösen zu können, ohne eine rechtliche Auseinandersetzung über die (mögliche) Nichtigkeit zu fürchten bzw. eingehen zu müssen.

a) Ausübung des Widerrufsrechts

aa) Form

Die Ausübung des Widerrufsrechts erfolgt gem. § 355 Abs. 1 S. 2 BGB formlos (beachte aber § 355 Abs. 1 S. 3 BGB, der einer Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB nicht entgegensteht). Zum Beispiel kann auch eine kommentarlose Rücksendung der Ware als konkludente Widerrufserklärung ausgelegt werden.

bb) Frist

Die Erklärung hat innerhalb von 14 Tagen ab Vertragsschluss gem. § 355 Abs. 2 S. 1, 2 BGB zu erfolgen, sofern bereits bei diesem eine ordnungsgemäße Belehrung stattgefunden hat. Erst mit ordnungsgemäßer Belehrung beginnt die Widerrufsfrist zu laufen gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB, andernfalls gilt die Höchstfrist gem. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB, mit dessen Ausnahme nach S. 3.

Tipp: Einmal in Ruhe die Widerrufsvorschriften durchlesen – v.a. aber § 355 BGB und § 357 BGB.
cc) Rechtsfolge

Bei dem Widerrufsrecht handelt es sich um ein rechtsvernichtendes Gestaltungsrecht. Es entsteht ein gesetzliches Rückgewährschuldverhältnis. Nach diesem Rückgewährschuldverhältnis haben beide Parteien das bereits erlangte zurückzugewähren. Als Anspruchsgrundlage dienen dabei die §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein etwaiger Wertverlust der Sache ergibt sich aus § 357 Abs. 7 BGB und ein möglicher Schadensersatz in Verbindung mit den §§ 280 ff. BGB wegen einer zu vertretenden Verletzung der Rückgewährpflichten aus §§ 355 Abs. 3 S. 1, 357 Abs. 1 BGB oder eventuellen Schutzpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB.

dd) Prüfung der relevantesten Widerrufsrechte
(1) Widerruf von „außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Verträgen“ gem. §§ 312g Abs. 1 BGB iVm 312b Nr. 1, 312 Abs. 1 BGB

a) Vorliegen eines Verbrauchervertrages iSd § 310 Abs. 3 BGB
aa) Verbraucher, § 13 BGB
bb) Unternehmer, § 14 BGB

b) Vertrag über eine entgeltliche Leistung des Unternehmers, § 312 Abs. 1 BGB

- grds alle Arten von gegenseitigen Verträgen
aa) (Problem) Bürgschaften (als einseitig verpflichtender Vertrag)
→ wird aber mit einem Erst-Recht-Schluss bejaht und die Verbrauchereigenschaft ist nur für den Bürgen erforderlich
bb) ebenso ist dies nun für einen Schuldbeitritt anwendbar

c) vorliegen eines Außergeschäftsraumgeschäftes nach Nr. 1 – 4

- Definition des Begriffes Geschäftsraums findest Du in § 312b Abs. 2 BGB

d) beachte mögliche Zurechnung gem. § 312b Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 BGB

e) kein Ausschluss gem. § 312 Abs. 2 – 6 oder § 312g Abs. 2 BGB

(2) Widerruf von Fernabsatzverträgen gem. §§ 312g Abs. 1 iVm 312c, 312 Abs. 1 BGB

- Prüfung ist im Grunde identisch mit obiger
- Der Vertragsschluss muss lediglich ausschließlich über Fernkommunikationsmittel gem. § 312c Abs. 1, Abs. 2 BGB (ist weit zu verstehen) erfolgt sein.

Alles Weitere hinsichtlich etwaiger Widerrufsrechte, vor allem speziell gesetzlich geregelten Vorschriften, findest du im SchuldR BT Skript bei den entsprechenden Schuldverhältnissen. Relevant sind dabei vor allem mögliche Widerrufsrechte iRv Darlehen, Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträgen.

4. Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB

Die Norm behandelt den Fall eines Fehlens oder eines Wegfalls von Umständen, die für (zumindest) eine Vertragspartei so wesentlich sind, dass sie den Vertrag ohne diese nicht oder zumindest nur mit veränderten Bedingungen geschlossen hätte und daher eine Vertragsänderung oder eine Aufhebung erforderlich wird.

a) Voraussetzungen des § 313 I BGB (unbedingt vorab lesen!)

aa) Anwendbarkeit nur für Verträge und sofern keine spezielleren Vorschriften anwendbar sind (Subsidiarität des § 313 BGB)

bb) reales Element – Jeder Umstand, der nicht Vertragsinhalt geworden ist, aber von mindestens einer Partei – auch für den anderen erkennbar – bei Vertragsschluss vorausgesetzt wurde.

cc) Wegfall oder Fehlen des realen Elementes

aa) nach Abs. 1 in Form eines nachträglichen Wegfalls

bb) nach Abs. 2 fehlte dies dagegen bereits von Anfang an

dd) hypothetisches Element – Das reale Element muss so wesentlich sein, dass die Parteien ohne dieses den Vertrag nicht bzw. nicht so geschlossen hätten.

ee) normatives Element – Das Festhalten an dem unveränderten Vertrag muss für die Partei unzumutbar sein. Dies ist eine Wertungsfrage, bei dessen Abwägung alle konkreten Umstände sowie Risikoverteilungen heranzuziehen sind.

b) Anwendungsfälle

Im Rahmen des § 313 BGB sollten die folgenden Fallgruppen unbedingt bekannt sein.

aa) Zweckstörung

Hier kann der geschuldete Erfolg zwar vom Schuldner noch herbeigeführt werden, aber der Gläubiger hat an diesem kein Interesse mehr. Grundsätzlich liegt die Verantwortlichkeit in der Sphäre des Gläubigers; hat sich der Schuldner diese jedoch auch soweit zu eigen gemacht, dass sie auch für ihn eine wesentliche Grundlage des Vertrages bildet, greift der § 313 BGB. (Zum Beispiel Krönungszug-Fall)

bb) Leistungserschwerung

Hier trägt grundsätzlich der Schuldner das vertragliche Risiko einer nachträglichen Leistungserschwerung, jedoch können unvorhergesehene Umstände eintreten, die über die zumutbare Opfergrenze hinausgehen.

Wichtig: Beruht die Leistungserschwerung auf immateriellen Gründen, wird dieser Fall von § 257 III BGB – der Vorrang vor § 313 BGB genießt – bereits erfasst.

Der Anwendungsfall des § 313 BGB bezieht sich auf den Fall einer Erschwerung aus wirtschaftlichen Gründen, auch sog. wirtschaftliche Unmöglichkeit. Trotz der etwas irreführenden Bezeichnung ist die Leistung nach wie vor möglich, nur die Leistungserschwerung überschreitet die Zumutbarkeitsgrenze des Schuldners deutlich.

Beispiel: Ein zu reparierendes Schiff sinkt vor dem Eintreffen des Abschleppunternehmens. Allein die Bergung übersteigt die vorher vereinbarten Kosten um ein Dreifaches, sodass diese nicht mehr kostendeckend sind.
→ iRd normativen Elementes ist eine entsprechende Wertung zu treffen.

cc) Äquivalenzstörung

Hierbei beruht die Störung des gegenseitigen Vertrages auf eine Störung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Meist hervorgerufen durch Entwertungen der geschuldeten Geld- oder Sachleistung. Dies fällt regelmäßig in den Risikobereich des Gläubigers, sodass eine Vertragsänderung zu seinen Gunsten nicht ohne Weiteres erfolgen kann, sondern auch hier muss iRd normativen Elementes eine Abwägung vorgenommen werden und ein extremes Missverhältnis festgestellt werden.

dd) Doppelter Motivirrtum

Grundsätzlich gilt das Anfechtungsrecht als lex specialis gegenüber dem § 313 BGB, jedoch kann die Anwendbarkeit des § 313 BGB bei Irrtümern über Motive eröffnet sein, die an sich die Parteien nicht zu einer Anfechtung berechtigen. D.h. irren sich beide Parteien bei Vertragsschluss über ein dem Vertrag zugrunde liegendes Motiv kann der § 313 BGB angewendet werden.

Beispiel: Ein antikes, sehr wertvolles Bild wird als „Ramsch“ ver- und gekauft.

Die Behandlung ist umstritten:

e.A. möchte solche Fälle immer über § 313 BGB lösen, da es ansonsten vom Zufall abhänge, wer zuerst die Anfechtung erkläre und es zu einer unbilligen Belastung des Anfechtenden mit einer Schadensersatzpflicht gem. § 122 BGB kommen könnte.

Contra:
Das Argument kann aber nicht überzeugen. Es wird nur derjenige anfechten, der sich hieraus auch einen Vorteil erhofft, sodass hier nicht mehr von einem Zufall gesprochen werden kann und eine Auferlegung mit der Schadenspflicht regelmäßig bereits von der Partei berücksichtigt wurde, sodass diese auch nicht als unbillig erscheint.

a.A. nimmt eine Abgrenzung allein anhand der von einer Anfechtung erfassten Irrtümer vor. Sobald die Vorschriften der Anfechtung anwendbar sind, sind diese gegenüber dem § 313 BGB lex specialis und der § 313 BGB tritt subsidiär zurück.

Beispiel: Im obigen Fall haben sich die Parteien nicht nur über den Preis geirrt, sondern auch über seinen Maler. Dann handelt es sich dabei nicht mehr nur allein um einen doppelten Motivirrtum über den Wert des Gemäldes, sondern um einen Irrtum über den Urheber des Gemäldes. Es handelt sich dann um einen anfechtbaren Irrtum in Form eines Eigenschaftsirrtums.

c) Rechtsfolgen

(1) Anspruch auf Vertragsanpassung, § 313 Abs. 1 BGB

Dies entspricht dem Grundsatz pacta sunt servanda. Sie erfolgt in der Gestalt, dass die iRd normativen Elements festgestellte Unzumutbarkeit beseitigt wird. Solange eine Anpassung noch nicht erfolgt ist, hat der Schuldner als Verteidigungsmöglichkeit gegen die Inanspruchnahme aus dem nicht geänderten Vertrag die Einrede aus § 242 BGB („dolo agit“- Einrede).

(2) Anspruch auf Vertragsauflösung, § 313 Abs. 3 BGB

Ausnahmsweise kann der Vertrag entgegen dem pacta-sunt-servanda-Grundsatz auch aufgelöst werden gem. § 313 Abs. 3 BGB, und zwar dann, wenn eine Anpassung nicht möglich oder für eine Partei unzumutbar ist. Dem Benachteiligten steht dann ein Recht auf Rücktritt nach §§ 313 Abs. 3 S. 1, 323 BGB bzw. bei Dauerschuldverhältnissen ein Recht zur Kündigung, §§ 313 Abs. 3 S. 2, 314 BGB zu. Die Rückabwicklung erfolgt nach den Vorschriften des §§ 346 ff. BGB und ihm steht eine entsprechende Einwendung zu.

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