Die Grundnorm § 280 Abs. 1 BGB

Autorin: Yvonne Mannsfeld (Rechtsanwältin))

Zunächst soll der Grundtatbestand des § 280 Abs. 1 BGB und dessen Voraussetzungen dargestellt werden. Ihn braucht man für fast jeden Schadensersatz nach allgemeinem Recht und wird zumeist nur um speziellere Voraussetzungen des konkreten Anspruches ergänzt.

1. Bestehen eines Schuldverhältnisses

Hierzu zählen sowohl vertragliche als auch gesetzliche Schuldverhältnisses sowie vorvertragliche Schuldverhältnisse gem. § 311 Abs. 2 BGB.

2. Anwendbarkeit des § 280 BGB

Die allgemeinen Normen greifen nicht, wenn spezialgesetzlich geregelte Normen – insbesondere im Schuldrecht BT – eingreifen (leges specialis), z. B. ab Gefahrenübergang im Kaufrecht (grundsätzlich ab Übergabe der Sache, § 446 BGB) sind die Vorschriften der §§ 434 ff. BGB vorrangig und verdrängen das allgemeine Leistungsstörungsrecht.

3. Pflichtverletzung

Zur Erinnerung: Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn die tatsächlich erbrachte Leistung hinter der Versprochenen objektiv zurückbleibt (hier ist das im 2. Teil erlernte anzuwenden).

4. Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB

Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB besteht nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat und richtet sich nach den §§ 276 ff. BGB. Dieses wird gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, sodass sich der Schuldner hinsichtlich der Pflichtverletzung exkulpieren muss. Hier kann es gem. § 278 BGB auch zu einer Zurechnung des Verschuldens eines Erfüllungsgehilfen kommen (hierzu mehr im 4. Teil).

5. (adäquat kausaler) Schaden

Der Schaden bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB und erfolgt anhand der sog. Differenzhypothese. Der ersatzfähige Schaden ergibt sich demnach aus der Differenz zwischen der gegenwärtigen (tatsächlichen) Vermögenslage und der hypothetischen Vermögenslage, die ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.

a) Schadensfeststellung

Der Schaden wird anhand der Differenzhypothese –wie oben beschrieben– bestimmt. Zu beachten ist die Berücksichtigung eines eventuell entgangenen Gewinns gem. § 252 BGB sowie die eines Nutzungsausfallschadens.

Problem - Nutzungsausfallschaden
Dieses Problem besteht nur, wenn jemand zwar einen Schadensersatzanspruch hat ihm aber kein materieller Schaden entstanden ist.
Beispiel:
a) A geht aufgrund von Renovierungsarbeiten nach einem Rohrbruch in seiner Wohnung statt in ein Hotel zu seiner Freundin F.
b) B fährt umsonst zu einem Besichtigungstermin mit C und opfert dafür seinen freien Sonntag.
c) C muss aufgrund eines Malheurs des D ihren heiß geliebten Pelzmantel mitten im Winter für drei Tage in die Reinigung geben.

Nach § 253 Abs. 1 BGB sind grundsätzlich nur materielle Schäden ersatzfähig. In den Beispielen liegen jedoch nur immaterielle Schäden in Form eines Nutzungsausfalls oder „vertaner Freizeit“ vor. Die Rtspr. des BGH sieht solche Schäden nur dann als ersatzfähig an, wenn diese als kommerziell angesehen werden können und demnach doch eine Art von materiellen Schäden darstellen. Nach dessen Ansicht muss auch eine Nutzung durch Geld ermöglicht werden, denn die Dinge müssen schließlich erst einmal gekauft, gemietet o.ä. werden.

Der sog. Kommerzialisierungsgedanke hat sich iRd Arbeitsrechts durchgesetzt. Nach diesem war Urlaub durch die geleistete Arbeit mit erarbeitet und stellte folglich iRe Nutzungsausfalls einen materiellen Schaden dar. Für den Bereich des Reisevertragsrecht greift nun der § 651f Abs. 2 BGB als gesetzliche Regelung.

Vorsicht: In dem Beispiel b) geht es nicht um einen Urlaubstag, sondern um einen (generell freien) Sonntag und damit im Grunde um Freizeit. Freizeit gilt aber als ein höchstpersönliches, immaterielles Gut, dessen Verlust zum allgemeinen Lebensrisiko zählt und damit gerade nicht dem Kommerzialisierungsgedanken unterliegen kann.
D.h.: Urlaub von der Arbeit (+)
vertane Freizeit (z. B. Wochenende) (-)

Für das Beispiel a) greift ebenfalls der Kommerzialisierungsgedanke, da A immerhin auch für die Wohnung Miete bezahlen muss und sie während der Arbeiten nicht nutzen kann.

Vorsicht ist dann wieder iRd Beispiels c) geboten. Grundsätzlich würde der Kommerzialisierungsgedanke auch hier greifen, denn immerhin hat C den Pelzmantel gekauft und kann ihn nun für drei Tage nicht nutzen. Damit wäre – nach dieser Denkweise – im Grunde alles von dem Kommerzialisierungsgedanken erfasst. Daher nahm der BGH eine Einschränkung des Gedankens dahingehend vor, dass es sich um ein Wirtschaftsgut handeln muss, dessen ständige Verfügbarkeit für die Lebensführung von zentraler Bedeutung ist. Als Beispiel ist das Internet, Auto, Smartphone o.ä. zu benennen. Der Pelzmantel hingegen ist davon nicht mehr erfasst.

In bestimmten Fällen kann eine Schadenskorrektur erforderlich sein.

Eine solche kann in Form einer Vorteilsanrechnung erforderlich sein. Eine Vorteilsanrechnung ist erforderlich, wenn das schädigende Ereignis neben Nachteilen bzw. dem Schaden auch zu Vorteilen führt. Damit entsteht zwischen dem Bereicherungsverbot des Geschädigten und dem Gebot den Schädiger nicht unbillig zu entlasten ein Spannungsverhältnis. Es stellt sich somit die Frage, ob dieser Vorteil auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen ist.

Dies ist nur unter den folgenden Voraussetzungen anzunehmen:

1. adäquat kausaler Schaden,

2. sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vor- und Nachteilen,

3. Anrechnung muss aus Sicht des Geschädigten zumutbar sein – dies ist abzulehnen, wenn der Schädiger unbillig entlastet wird.

aa) (P) Erbschaft

Ein Sonderfall liegt vor, wenn es sich bei dem Vorteil um eine Erbschaft handelt. Mögliche Berücksichtigung kann nur iRe Anspruchs aus § 844 Abs. 2 BGB sein, denn nur dort kann eine sachliche Kongruenz vorliegen. Eine Erbschaft ist grundsätzlich nicht anrechenbar, denn die Erben hätten dies eh irgendwann bekommen, sodass dies keinen daraus resultierenden Vorteil darstellt. Die einzige Ausnahme liegt dann vor, wenn die Erbmasse andernfalls ausgegeben worden wäre, z. B. sie für den Lebensunterhalt genutzt worden wäre und die Erben später eine geringere Erbmasse erhalten hätten.

bb) (P) Verschleißanrechnung

Im Rahmen von Mietpreisen muss immer der Vorteil einer unterbliebenen Abnutzung der eigenen Sache während der Nutzung der Mietsache berücksichtigt werden. Um eine verschleißende Sache handelt es sich z. B. bei einem Auto, der Wohnung o.ä. Es ist in den Fällen eine ersparte Aufwendungen idR zwischen 10-20 % abzuziehen, wobei hier alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen gilt.

cc) (P) „Alt gegen Neu“

Bei der Bemessung des Schadensersatzes für die Beschädigung oder Zerstörung einer durch Gebrauch und Zeitdauer im Wert gesunkenen oder schon vorher schadhaften Sache ist grundsätzlich ein Abzug zwecks Berücksichtigung des Unterschiedes von Alt gegen Neu zu machen. Das gilt auch für langlebige Wirtschaftsgüter.

Beispiel: A fährt die Mauer des B um. Die Mauer war bereits vorher durch ihr Alter sehr instabil. B lässt die Mauer abtragen und durch eine komplett neue ersetzen. Fraglich ist, inwieweit B von A nun Schadensersatz verlangen kann.

b) Schadenskorrektur

Nach diesem Grundsatz soll der Geschädigte durch den Ersatz des Schadens nicht bessergestellt werden, als ohne den Eintritt des schädigenden Ereignisses. Es soll demnach durch einen Abzug “Alt gegen Neu“ etwaige Vorteile ausgeglichen werden, die der Geschädigte deshalb erlangt hat, weil er anstelle der alten Sache nunmehr einen komplett neuen Gegenstand erhalten hat. Zu diesen Vorteilen gehören nicht nur der Mehrwert der neuen Sache, sondern auch die verlängerte Nutzbarkeit, sodass für die Bemessung des Vorteils auch das Alter des beschädigten Gegenstandes, dessen übliche Lebensdauer sowie die Kosten der Neuanschaffung zu berücksichtigen sind.

Dabei setzt die Anwendung des Grundsatzes eines Abzuges “Alt gegen Neu“ voraus, dass sie dem Sinn und Zweck des Schadensrechts entspricht. Demnach ist der Grundsatz nicht uneingeschränkt anwendbar und muss in jedem konkreten Einzelfall danach bestimmt werden, ob ein solcher Abzug dem Geschädigten zumutbar ist. Gleichzeitig darf er den Schädiger nicht in unbilliger Weise begünstigen oder von seiner Haftung unverhältnismäßig befreien, da ansonsten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB verstoßen werden würde.

Ein Abzug ist z. B. dann berechtigt, wenn der Geschädigte durch die Unfallreparatur spürbar und zeitnah eine messbare Vermögensvermehrung zu verzeichnen hat oder etwaige Investitionen erspart. Weiter ist für einen Abzug “Neu für Alt“ entscheidend, ob und inwieweit sich das individuelle Nutzungspotential für den Geschädigten erhöht hat; maßgeblich muss hierbei sein, ob die neue Sache gerade für den Geschädigten einen höheren Wert hat.

Zu beachten ist weiter, dass ihm diese auch nicht aufgedrängt worden sein darf. Es darf demnach kein Fall einer aufgedrängten Bereicherung vorliegen. Eine solche ist gegeben, wenn der Geschädigte etwas erlangt, das bereicherungsrechtlich bei diesem abgeschöpft werden soll, obwohl er es nicht haben wollte bzw. für ihn sinnlos ist.

Eine gesetzliche Regelung existiert zwar für diesen Grundsatz „Alt gegen Neu“ nicht, aber sie wird in der ständigen Rechtsprechung allgemein anerkannt und sieht, anstatt einer objektiven Bestimmung, eine subjektive Wertbestimmung des Erlangten vor.

c) Haftungsausfüllende Kausalität

Der Schaden muss adäquat kausal durch die Verletzungshandlung entstanden sein. Für die Bestimmung der Kausalität gibt es verschiedene Ansätze (wie im Deliktsrecht):

(1) Äquivalenz – nach der conditio sine qua non-Formel. Das heißt das schädigende Ereignis kann nicht weggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele.

(2) Adäquanz – Der Schaden ist kausal, sofern er nicht außerhalb jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit liegt.

(3) Schutzzweck der Norm – Es ist demnach zu fragen, ob die Norm gerade für den eingetretenen Schaden eine Ersatzpflicht begründen soll. Davon ist nicht das allgemeine Lebensrisiko erfasst.

Auch hier gibt es gewisse Problemfälle, die bekannt sein müssen:

aa) kausale Dazwischentreten eines Dritten oder des Geschädigten selbst

Hierbei ist die entscheidende Frage, ob ein Schaden dem Erstschädiger noch zuzurechnen ist, wenn ein Dritter kausal dazwischengetreten ist oder ob dann eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs vorliegt. Grundsätzlich unterbricht ein Fehlverhalten eines Dritten oder des Geschädigten selbst nicht den Zurechnungszusammenhang. Selbst das vorsätzliche Dazwischentreten eines Zweitschädigers unterbricht den Zurechnungszusammenhang nicht, wenn das Verhalten des Zweitschädigers vom Erstschädiger herausgefordert wurde. In solchen sog. „Herausforderungsfällen“ liegt dann keine völlig atypische Reaktion des Zweitschädigers vor, wenn seine Reaktion nicht gänzlich abwegig war, sondern eine iRd Lebenserfahrung erfolgte Reaktion auf die vom Erstschädiger gesetzte Gefahrenlage vor.

bb) Reserveursache/ hypothetische Kausalität

Fraglich ist die Behandlung eines Schadens, der aufgrund eines anderen späteren Ereignisses ohnehin eingetreten wäre. Dabei ist allein das erste Ereignis ursächlich, denn die Reserveursache konnte sich aufgrund dessen nicht mehr auswirken, da der Schaden bereits eingetreten war.

Im Fall einer innewohnenden Schadensanlage liegt die Reserveursache in der geschädigten Sache oder des Geschädigten.

Beispiel: A fährt aus Unachtsamkeit in die Garage des B. Die Garage war schon sehr baufällig und wäre ohnehin zwei Tage später zusammengefallen.

Das Zusammenfallen ist eine Reserveursache, die sich im Schaden nicht mehr niederschlagen konnte und im Grunde dementsprechend nicht berücksichtigt wird. Dennoch erscheint es unbillig, dies gänzlich außen vor zu lassen, sodass A nicht einen Anspruch auf eine komplett neue Garage haben kann, sondern es als wertender Schadensminderungsfaktor zu berücksichtigen ist.

d) Schadenskürzung gem. § 254 Abs. 1 BGB

Der § 254 Abs. 1 BGB regelt ein Mitverschulden des Geschädigten bzw. ein Verschulden gegen sich selbst. Dieses muss iRe Schadensersatzes berücksichtigt werden und entspricht der Ausprägung des § 242 BGB iSd Grundsatzes „venire contra factum proprium“. Ein Geschädigter kann demnach vom Schädiger nicht den gesamten Schadensersatz ersetzt verlangen, wenn er selbst einen Teil des Schadens zu verantwortlichen hat. Er würde sich sonst widersprüchlich verhalten und somit gegen § 242 BGB verstoßen.

e) Der Schockschaden

Immaterielle Schäden sind gem. § 253 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht zu ersetzen, sondern es gilt der Grundsatz der Naturalrestitution von materiellen Schäden gem. § 249 Abs. 1 BGB. Ausnahmen sieht das Gesetz in § 253 Abs. 2, § 651f Abs. 2 BGB und (nicht gesetzlich geregelt, aber allgemein anerkannt) für das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor.

Ein Sonderfall der Ausnahme nach § 253 Abs. 2 BGB stellt der sog. Schockschaden dar. Denn der § 253 Abs. 2 BGB lässt eine billige Entschädigung in Geld zu, wenn wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist. Folgende Probleme ergeben sich hierbei:

aa) Gesundheitsschädigung

Das Nächstliegende ist die Gesundheitsschädigung, wobei nicht jeder Schock gleich eine Gesundheitsschädigung darstellt. Auch allgemein negative Empfindungen wie Schmerz, Trauer oder Schrecken können einen solchen Schadensersatzanspruch nicht begründen. Vielmehr muss ein gewisses Ausmaß erreicht sein, dass über die normale Trauer, Angst oder Schrecken hinausgeht. Spätestens wenn eine ärztliche Behandlung erfolgt, liegt eine solche vor, wobei dann die Krankenhaus- und Arztkosten wieder von der billigen Entschädigung zu trennen sind.

bb) (haftungsbegründende) Kausalität

Hier ist es fraglich, ob der Schutzzweck des § 253 Abs. 2 BGB auch Schockschäden erfasst. Hinsichtlich eines Verkehrsunfalls muss angeführt werden, dass in Anbetracht der Vielzahl von Unfällen die Gefahr, von einem solchen Zeuge zu werden, eher dem allgemeinen Lebensrisiko entspricht.

Es erfolgt eine Eingrenzung der Ersatzfähigkeit von Schockschäden anhand des Verhältnisses zwischen dem Unfallopfer und dem Schockgeschädigten. Sofern es sich dabei um nahe Angehörige handelt, ist das allgemeine Lebensrisiko überschritten. In solchen Fällen ist es dann auch irrelevant, ob der Schockgeschädigte den Unfall unmittelbar miterlebt hat oder der Schock durch die Übermittlung der Unfallnachricht ausgelöst wurde.

cc) Kausales Dazwischentreten des (Unfall-) Opfers

Dieser Punkt muss immer (zumindest gedanklich) mit geprüft werden. Innerhalb des Schutzzweckes der Norm gelten dann Wertungspunkte, die abzuprüfend sind, auch wenn diese idR dem (Unfall-) Opfer nicht zurechenbar sind.