Die Musterfeststellungsklage

von iurastudent · Lernbeiträge

Ein Überblick über die neue Klageart

Von Sammel- oder Gruppenklagen – sog. „class action“ – hört man besonders aus Amerika immer wieder. Sie ist in der amerikanischen ZPO (Federal Rules of Civil Procedure, Title 28 United States Code Appendix Rule 23) normiert und verschafft im Falle des Erfolges nicht nur dem Kläger, sondern jeder Person, die von dem Sachverhalt in gleicher Weise betroffen ist, einen unmittelbaren Anspruch. Nicht erforderlich ist also eine eigene Klage oder ein Anschluss an die Klage.
Das deutsche Prozessrecht kennt eine solche Klageart nicht. Als alternative bietet die Zivilprozessordnung die subjektive Klagehäufung, bei der mehrere Personen auf Kläger – oder Beklagtenseite zusammen auftreten können. Seit dem 1. November 2018 existiert als weitere Klageart die Musterfeststellungsklage. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die neue Klageart geben und ihre Vor- und Nachteile aufzeigen.
 

Hintergrund

Anlass der Einführung war zunächst eine Empfehlung durch die europäische Kommission 2013/396/EU am 11. Juni 2013 für „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ (ABl. L 201 vom 26.7.2013, S. 60), welche die Kommission in ihrem Bericht vom 25. Januar 2018 nochmals bekräftigte (Rats-Dok. 6043/18; Kom-Dok. COM(2018) 40 final). Die Empfehlung beruht auf der Überlegung, dass in einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben unrechtmäßige Verhaltensweisen häufig eine Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucher(innen) verursachen. Der Schaden ist dabei oft so gering ist, dass Schaden- oder Erstattungsansprüche regelmäßig nicht individuell verfolgt wird, da der erforderliche Aufwand dafür aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig erscheint.
Der dadurch unrechtmäßig erwirtschaftete Gewinn verbleibt dann beim Unternehmer, der hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Wettbewerbern erhält.
Nach Bekanntwerden des Dieselskandals im Jahr 2015 hat sich die Regierungskoalition im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, die Musterfeststellungsklage zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung von Verbraucher(innen) einzuführen. Die Einführung wurde dabei bewusst zum 1. November 2018 gewählt, da die Ansprüche der geschädigten Verbraucher(innen) gemäß der drei-jährigen Regelverjährung nach § 195 BGB zum 1. Januar 2019 verjährt wären.
 

Gesetzliche Grundlagen

Die Musterfeststellungsklage ist in den §§ 606 ff. ZPO geregelt. Sachlich zuständig für die Musterfeststellungsklage im ersten Rechtszug ist nach § 119 Abs. 3 GVG das Oberlandesgericht. Örtlich ist nach § 32 c ZPO ausschließlich das Gericht zuständig, an dem der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, sofern sich dieser im Inland befindet. Nach § 119 Abs. 3 S. 2 GVG kann abweichend davon ein Bundesland, in dem sich mehrere Oberlandesgerichte befinden, durch Rechtsverordnung die Zuständigkeit auf ein Oberlandesgericht übertragen. So geschehen beispielsweise in NRW. Dort wurde durch Rechtsverordnung des Justizministers Biesenbach vom 16. Oktober 2018 dem OLG Hamm landesweit für sämtliche Musterfeststellungsklagen die Zuständig übertragen.
Klagebefugt sind gem. § 606 Abs. 1 ZPO qualifizierte Einrichtungen nach dem UKlaG, welche neben den in § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO aufgezählten Voraussetzungen insbesondere in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben die Interessen von Verbrauchern wahrnehmen. Gegenstand der Feststellungsklage muss gem. § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO „die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen“ sein.
 

Das Verfahren

1. Form und Inhalt

Die Erhebung der Musterfeststellungsklage muss in der Form des § 606 Abs. 2 ZPO erfolgen, welche neben einem Verweis auf den allgemeinen Inhalt einer Klageschrift nach § 253 Abs. 2 ZPO auch den Nachweis der Klagebefugnis und Angaben zum Feststellungsziel enthalten muss. Dazu muss § 606 Abs. 2 Nr. 2 nachgewiesen werden, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen. Zum Zwecke der Bekanntmachung nach § 607 ZPO im Klageregister soll die Klageschrift auch eine kurze Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhaltes enthalten. Fehlt die Darstellung, ist die Klage aber nicht unzulässig, da es sich hierbei nur um eine Soll-Vorschrift handelt. 

2. Anmeldung von Ansprüchen zum Klageregister

Das Klageregister wird nach § 609 Abs. 1 S. 2 ZPO vom Bundesamt für Justiz geführt und aktuell (Stand Dezember 2018) elektronisch betrieben. Dort können Verbraucher unter Einhaltung der Form und Frist des § 608 ZPO ihre Ansprüche anmelden, sobald die Klage nach § 607 ZPO öffentlich bekannt gemacht wurde.

3. Verfahrensaussetzung

Hat ein Verbraucher vor der Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage bereits eine Klage erhoben, welche die Feststellungsziele und den Sachverhalt der Feststellungsklage betrifft und meldet er dann seinen Anspruch oder sein Rechtsverhältnis im Klageregister an, so setzt das Gericht nach § 613 Abs. 2 ZPO das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Musterfeststellungsklage oder bis zur sonstigen Erledigung, wie der wirksamen Rücknahme der Anmeldung, aus.

4. öffentliche Bekanntmachung

Die öffentliche Bekanntmachung ist nach § 607 Abs. 1 ZPO Zulässigkeitsvoraussetzung und muss die nach § 607 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 8 ZPO erforderlichen Angaben enthalten. Dazu zählen etwa die Bezeichnung des Gerichts und des Aktenzeichens, Angaben zum Feststellungsziel sowie die Wirkungen eines Vergleichs und der Austrittsmöglichkeit, einschließlich deren Rechtsfolge. Lohnenswert ist ein Blick auf die Seite des Bundesjustizamtes, um eine Übersicht über die laufenden Klagen und einen Eindruck des Klageregisters zu erhalten.

5. sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Damit die Musterfeststellungsklage zulässig ist, müssen nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO binnen zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet haben.
Für das weitere Verfahren sind gem. § 610 Abs. 5 ZPO die für das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, mit Ausnahme von § 128 Abs. 2, § 278 Abs. 2 bis 5 sowie §§ 306 und 348 bis 350 ZPO. Insbesondere ist damit keine Ausnahme vom Mündlichkeitsgrundsatz vorgesehen und eine vorherige Güteverhandlung unstatthaft.
Nach § 610 Abs. 6 ZPO finden auch die Regelungen zur Nebenintervention und Streitverkündung nach §§ 66 – 74 ZPO keine Anwendung zwischen den Parteien der Musterfeststellungsklage und im Klageregister angemeldeten Verbrauchern oder Verbrauchern, die behaupten, einen Anspruch gegen den Beklagten zu haben vom Beklagten in Anspruch genommen zu werden oder in einem Rechtsverhältnis zum Beklagten stehen.

6. Vergleichsmöglichkeit

§ 611 ZPO sieht die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichs vor, wobei dieser nach § 611 Abs. 6 ZPO nicht vor dem ersten Termin abgeschlossen werden darf. Der Vergleich entfaltet nach § 611 Abs. 1 ZPO Bindungswirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher, wenn diese nach § 611 Abs. 4 S. 2, S. 3 ZPO ihren Austritt aus dem Vergleich nicht wirksam erklärt haben. Der Vergleich bleibt nach § 611 Abs. 5 ZPO trotz Austritt von Verbrauchern aus dem Vergleich wirksam, sofern nicht mehr als 30 Prozent der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt erklärt haben. Inhaltlich soll der Vergleich nach § 611 Abs. 2 Nr. 1 – 4 ZPO insbesondere Regelungen über die auf den Verbraucher entfallenden Leistungen, Art des Leistungsnachweises, deren Fälligkeit und eine Kostenaufteilung enthalten.
Der Vergleich bedarf nach § 611 Abs. 3 ZPO einer Genehmigung des Gerichts, welche durch unanfechtbaren Beschluss erteilt wird (vgl. § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO).
Autorin: Rechtsanwältin Vera Oldenburger

Bist Du schon fit für das Referendariat?

Es ist nicht ganz einfach im Stress des ersten Examens sich einen Überblick über die Möglichkeiten des Referendariats zu verschaffen. Da die Bundesländer verschiedene Regelungen haben, ist es ratsam sich vor dem Referendariat über die jeweiligen Möglichkeiten zu informieren. Denn eine gute Entscheidung lässt sich nur dann treffen, wenn man auch alle Variablen kennt. Es lohnt sich daher frühzeitig die notwendigen Informationen zum Referendariat und den Besonderheiten des jeweiligen Bundeslandes einzuholen. Wir haben aus diesem Grund einen kostenfreien Vorbereitungskurs auf die Beine gestellt, der Dir genau dabei helfen soll! Alle Informationen zum Vorbereitungskurs


Zu den Rechtsfolgen und der Wirkung der Musterfeststellungsklage: Rechtsfolgen und der Wirkung der Musterfeststellungsklage


Hol Dir den gesamten Stoff vom ersten Semester bis zum zweiten Examen kostenlos für drei Tage auf Jura Online!

Das könnte Dich auch interessieren

Wie die Jura Lern - AG funktioniert und was Dir das gemeinsame Lernen alles bringt.
Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein…
"Draußen knallt die Sonne vom Himmel. Der Sommer ist da - endlich! Und vor der Bibliothek macht…
1. Sperrwirkung Als Rechtsfolge tritt zunächst eine Sperrwirkung nach § 610 Abs. 1 ZPO ein mit der…

Und Deine Meinung zu »Die Musterfeststellungsklage«

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Juracon München 2023

Weitere Beiträge

A. Zum Sachverhalt (abgewandelt):A und B waren in der Stadt shoppen. Auf dem Weg nach Hause…
Wo lerne ich, wie sieht eine vernünftige Ernährung aus und wie lange sollte ich eigentlich lernen?
I. Die goldene Lernregel Habt ihr schon mal versucht in der Diskothek zu lernen? Oder mit einer…
"Draußen knallt die Sonne vom Himmel. Der Sommer ist da - endlich! Und vor der Bibliothek macht…
I. Vom Lieblingsbaum und Urwäldern  Eine der großen Schwierigkeiten im Jurastudium…
Was Osborne Clarke als Arbeitgeber zu bieten hat