Wie ist mit fehlendem Erklärungsbewusstsein bei einer Willenserklärung zu verfahren?

Überblick

Es ist umstritten, wie mit einer Erklärung umzugehen ist, wenn dem Erklärenden das Bewusstsein fehlt, dass er eine verbindliche rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt.

Die Meinungen und ihre Argumente

1. Ansicht - Willenstheorie1

Nach dieser Theorie kann ohne Erklärungsbewusstsein keine Willenserklärung vorliegen.

Argumente für diese Ansicht

§ 118 BGB

Der § 118 BGB muss analog angewendet werden, wenn kein Erklärungsbewusstsein vorliegt. Damit liegt nur dann eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende auch das Bewusstsein hat, eine Willenserklärung abzugeben. Ist dies nicht der Fall, ist die Willenserklärung nichtig und der Erklärende ist ggf. in analoger Anwendung des § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet.

Bewusstsein notwendiger Bestandteil

Das Erklärungsbewusstsein ist ein notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung. Ohne dieses kann keine Erklärung abgegeben werden. Auch würde es gegen die privatautonome Gestaltung der Selbstbestimmung sprechen.

Auslegung zugunsten des wirklichen Willens

Im Rahmen der Auslegung von Willenserklärungen ist gemäß § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Demnach ist auch auf diesen abzustellen. Wenn dem Erklärenden das Erklärungsbewusstsein fehlt, kann auch nicht von einem wirklichen Willen ausgegangen werden.

2. Ansicht - Erklärungstheorie2

Nach dieser Theorie liegt eine Willenserklärung auch dann vor, wenn das Erklärungsbewusstsein fehlt, der Erklärende aber hätte erkennen können, dass seine Äußerung als Willenserklärung aufgefasst werden würde und der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat.

Argumente für diese Ansicht

Erklärungstatbestand

Es ist allein auf den Erklärungstatbestand abzustellen. Somit liegt eine Willenserklärung auch dann vor, wenn das Erklärungsbewusstsein fehlt. Sofern nach den objektiven Umständen die Erklärung als Willenserklärung bewertet werden kann, kann sich der Erklärende nur durch Anfechtung von ihr lösen.

§ 119 BGB

Der Erklärende kann sich von einer Willenserklärung, die er ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben hat, nur im Rahmen der Anfechtung mittels § 119 I BGB in analoger Anwendung lösen.

Potentielles Erklärungsbewusstsein

Hätte der Erklärende bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass sein Verhalten im Rechtsverkehr als eine Willenserklärung gesehen wird, muss er diese gegen sich gelten lassen. Dies scheint insbesondere aus Rechtsverkehrsschutz- und Vertrauensschutzgründen angemessen.

  • 1. MüKoBGB/Armbrüster, 9. Auflage 2021, § 119 Rn. 100 ff.;
  • 2. BGHZ 91, 324; BGH NJW 2014, 1242, BeckOKBGB/Wendtland, § 119 Rn. 23 (Nov. 2023).

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