Die Zivilstation und das gestohlene Gebiss

von Luisa Rödemer · Aktuelles und Gemischtes

Gebiss,
Nach meiner dreimonatigen Strafstation folgte die Ausbildung bei einem Zivilrichter am Amtsgericht. Ich hatte mir ein Gericht nahe meiner Wohnung ausgesucht und war bei einem Richter mit Schwerpunkt Wohnungseigentümergemeinschaftssachen eingeteilt. Habt ihr eigentlich eine Vorstellung, wie viele Rechtsstreits es gibt, weil Kater Willi von Nachbarn Helmut ungefragt bei Elfriede durch den Garten läuft? Seitenweise handgeschriebene Protokolle in den Akten, wann der Willi aus welcher Richtung kommend in welche Richtung schleichend und in welcher Gangart im Gemüsebeet von Elfriede gesichtet wurde. Das stelle sich mal einer vor, da fragt dieser respektlose Kater doch tatsächlich nicht nach, sondern läuft einfach durch den Garten. Unerhört. 

Auch sonst sind WEG Sachen durch die Bank aufregend. Man fühlt sich immer ein kleines bisschen wie bei RTL2 im Mittagsprogramm. Menschen streiten nicht nur über das Verhalten von Kater Willi, sondern auch darum, welche Farbe Balkongitter haben dürfen oder wie viele Zentimeter der Einfahrt nun welchem Eigentümer genau gehören. Und die Menschen streiten erbittert um ihr Recht – oder das, was sie für ihr Recht halten. Den Rechtsschutzversicherungen sei Dank! 

In der Zivilstation habe ich außer den Sitzungen, denen ich beiwohnen durfte, massenhaft Urteile geschrieben. Wie die meisten von euch wissen, wird dies auch ein elementarer Teil der Examensklausuren sein, sodass man das wirklich nicht oft genug üben kann. Die meisten Urteile habe ich übrigens in Rechtsstreits gegen Telekommunikationsunternehmen geschrieben. Wusstet ihr eigentlich, dass es völlig egal ist ob ihr euch mit Vodafone, T-Mobile oder O2 in die Haare bekommt, weil ihr am Ende immer bei den gleichen Anwälten landet und die Schriftsätze meist einfaches Copy Paste sind? Woher ich das weiß? Nein, ich habe kein persönliches Problem mit Telekommunikationsunternehmen und mich desshalb wie Sherlock Holmes verkleidet und bin mit Watson auf die Ermittlungsjagd gegangen. Tatsächlich zitierte in meinem ersten Verfahren einer der Anwälte in seinem Schriftsatz einen Absatz aus den AGB des Unternehmens, den es überhaupt nicht gab. Nach einigen Stunden Gehirnwindungen anstrengen und zwischenzeitlich schon an meiner eigenen Intelligenz zweifeln, hatte ich einfach spaßeshalber mal in den AGB eines anderen Telekommunikationsunternehmens nachgesehen. Treffer! Meine „Ermittlungen“ konnte ich dann später in meiner Station bestätigen, als ich in einem Haufen anderer Fälle tatsächlich im Briefkopf die gleichen Anwälte entdeckte. 

Einen wirklich witzigen Fall habe ich aber noch für euch. Über meine komplette Station hinweg begleitete mich ein Fall, in dem ein Herr und eine Dame, beide Ende 60 miteinander in den Urlaub gefahren waren. Nach den Akten waren die Beiden in einem Wohnwagen unterwegs, als ein Streit ausbrach. Am Ende des Tages eskalierte dieser Streit so sehr, dass die Frau mit dem Wohnwagen davonbrauste und länger nicht mehr gesehen wurde. Das kuriose? In dem Wohnwagen befand sich die Tasche des Mannes und darin auch sein Gebiss. Sowohl die Frau, also auch der Wohnwagen wurden später gefunden, von der Tasche und dem Gebiss fehlte jede Spur. Schlussendlich ging es in diesem Rechtsstreit, der seit 8 (!) Jahren andauerte, um den Herausgabeanspruch des Gebisses. Warum man überhaupt davon ausging, dass die Frau das Gebiss noch hatte? Sie hatte wohl bei einer Freundin beim Kartenspielen damit angegeben! Warum der Rechtstreit so lange dauerte? Die Parteien und Zeugen sind mittlerweile alle weit über 70, sodass fast nie alle zu den Terminen erscheinen, weil immer wer gerade im Krankenhaus, auf Kur oder in Reha ist. Das Ungewöhnliche an dem Fall? Der Mann hatte die kompletten 8 Jahre gehofft, er bekomme sein Gebiss alsbald zurück und sich deshalb nie um ein neues gekümmert. 

Soviel von meiner Zivilstation, ich hoffe, der Beitrag hat euch gefallen und würde mich freuen, wenn ihr mal auf meinem Blog LUISA HAT RECHT vorbeischaut.
Eure Luisa

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