Inwieweit kann § 123 I Var. 1 StGB durch unechtes Unterlassen nach § 13 StGB verwirklicht werden?

Überblick

Insgesamt werden in diesem Zusammenhang drei Konstellationen diskutiert. Die erste, in welcher der Überwachungsgarant die zu überwachende Person nicht am Eindringen hindert, ist unproblematisch, da dies anerkannt ist und eine Strafbarkeit nach §§ 123 I Var. 1, 13 StGB bejaht wird. Ob ein Strafbarkeit wegen Unterlassens möglich ist, ist jedoch dann umstritten, wenn es um Konstellationen geht, in denen die zeitlich begrenzte Zutrittserlaubnis überschritten wird oder der Täter zunächst unvorsätzlich, gerechtfertigt oder entschuldigt eindringt, sich dann aber nicht rechtzeitig entfernt.1

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht - Der Täter macht sich in diesen Konstellationen gemäß §§ 123 I Var. 1, 13 StGB strafbar, da ein Eindringen durch Unterlassen vorliegt.2

Argumente für diese Ansicht

Bei § 123 I Var. 1 StGB handelt es sich um ein Dauerdelikt.

Da es sich bei dem § 123 I Var. 1 StGB um ein Dauerdelikt handelt und das Eindringen anhält, solange sich der Täter in dem geschützten Raum aufhält, leitet sich die Garantenstellung aus dem vorangegangenen Tun (Ingerenz), namentlich die Aufrechterhaltung des Dauerzustandes ab. Das unbefugte Verweilen stellt dann das rechtswidrige Eindringen durch Unterlassen dar.3

2. Ansicht - Der Täter macht sich in diesen Konstellationen nicht nach §§ 123 I Var. 1, 13 StGB strafbar. Es liegt kein Eindringen durch unechtes Unterlassen vor.4

Argumente für diese Ansicht

§ 123 I Var. 1 StGB konstatiert ein ausschließlich tätigkeitsgebundenes Verhalten.

Bereits der Wortlaut des § 123 I Var. 1 StGB weist mit der Formulierung „Eindringen in...“ auf ein ausschließlich tätigkeitsgebundenes Verhalten hin.5

Die zweite Variante des § 123 I StGB sieht als lex specialis ein unechtes Unterlassungsdelikt für solche Konstellationen vor.6


Argumente gegen diese Ansicht

§ 123 I Var. 2 StGB geht auch nicht als lex specialis vor.

Das Eindingen durch Unterlassen (§§ 123 I Var. 1, 13 StGB) hat gegenüber dem bloßen Sich-nicht-entfernen (§ 123 I Var. 2 StGB) die engeren Voraussetzungen einer Garantenstellung, sodass die zweite Variante des § 123 StGB, die ihrerseits nur ein Auffordern verlangt, keine speziellere, sondern eine weitere, das Eindringen ergänzende Verhaltensweise ist.7

  • 1. Rengier, BT II, § 30, Rn. 14ff., Aufl. 15.
  • 2. Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, § 123, Rn. 13, Aufl. 28.; Kindhäuser, BT I, § 33, Rn. 31f., Aufl. 6.; Lackner/Kühl, StGB, § 123, Rn. 5, Aufl. 60.; MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 26, Aufl. 2.
  • 3. i.E.: Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, § 123, Rn. 13, Aufl. 28.; MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 26, Aufl. 2.
  • 4. LK/Lilie, StGB, § 123, Rn. 58, Aufl. 12.; Rengier, BT II, §3 30, Rn. 17, Aufl. 15.
  • 5. Rengier, BT II, §3 30, Rn. 17, Aufl. 15.; ähnlich: LK/Lilie, StGB, § 123, Rn. 58, Aufl. 12.
  • 6. LK/Lilie, StGB, § 123, Rn. 58, Aufl. 12.
  • 7. Kindhäuser, BT I, § 33, Rn. 32, Aufl. 6.

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