B. Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts

Der Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts ist umstritten. Teilweise wird vertreten, einen einstufigen Prüfungsaufbau anzustreben. Die h.M. favorisiert das zweistufige Fahrlässigkeitsmodell, bei dem auf der einen Ebene geprüft wird, ob das Risiko der Tatbestandsverwirklichung hätte erkannt werden können. Auf der anderen Ebene wird dann nach der Fähigkeit des Täters, das Risiko zu erkennen, gefragt.1

Die Besonderheit beim Aufbau ist die Tatsache, dass der Handlungsunwert nicht vom Vorsatz bestimmt wird, sondern von der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung. Obwohl der Täter bei einem Fahrlässigkeitsdelikt unvorsätzlich handelt, hat er trotzdem objektiv die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, obwohl er sie subjektiv hätte erkennen können. In diesen Fällen muss nicht wie im Vorsatzdelikt nach dem Willen des Täters (Vorsatz) gefragt werden – dies lässt daher den subjektiven Tatbestand entfallen. Auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit werden also nach h. M. nur die objektiven Fahrlässigkeitselemente geprüft, der subjektive Teil wird auf die Ebene der Schuldhaftigkeit verlagert.2

Insoweit ist zu beachten, dass Fahrlässigkeit gegenüber dem Vorsatz ein „aliud“ ist, dass also dieselbe Handlung bei Verletzung desselben Rechtsguts nicht gleichzeitig als vorsätzlich und als fahrlässig begangen werden kann. Der Vorsatz ist demnach keine Qualifizierung der Fahrlässigkeit, sie schließen sich gegenseitig aus. In einem Gutachten müssen deshalb erst die Vorsatzdelikte geprüft werden, bevor man sich einer eigenständigen Prüfung der Strafbarkeit aus Fahrlässigkeitsdelikten widmet.3

Aufbau bzw. Prüfungsschema zur Fahrlässigkeit
  • I. Tatbestandsmäßigkeit
    • 1. Vorliegen einer Handlung inklusive tatbestandsmäßigem Erfolg
    • 2. Kausalität
    • 3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
    • 4. Objektive Zurechnung = Realisierung der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung
      • a) Objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts
      • b) Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Objektive Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts bei pflichtgemäßem Verhalten
      • c) Schutzzweckzusammenhang
      • d) Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen
  • II. Rechtswidrigkeit
  • III. Schuldhaftigkeit
    • 1. Schuldfähigkeit (§§ 19, 20 StGB)
    • 2. Subjektive Fahrlässigkeit
      • a) Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
      • b) Subjektive Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung
    • 3. Entschuldigungsgründe (z. B. §§ 33, 35 StGB)
  • IV. Persönliche Strafauschließungs- und Strafaufhebungspunkte
  • V. Prozessvoraussetzungen
  • 1. Kindhäuser, § 33, Rn. 13; Rengier, § 52, Rn. 11f.
  • 2. S/S/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 116 ff.; Roxin, § 24, Rn. 3 ff.; Lackner/Kühl, § 15, Rn. 38
  • 3. BGH NJW 2011, 2067 f.; Rengier, § 52, Rn. 2; Krey/Eser, Rn. 1337 ff.