3. Der Kalkulationsirrtum
Bei dem verdeckten Kalkulationsirrtum wird dem Vertragspartner vom Erklärenden lediglich das Ergebnis seiner intern durchgeführten Berechnung mitgeteilt, nicht aber die für das Ergebnis maßgebliche Kalkulation.4 Dieser berechtigt den Erklärenden nicht zur Anfechtung, da grundsätzlich derjenige, der aufgrund einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und seinem Angebot zugrunde legt, auch das Risiko dafür trägt, dass seine Kalkulation zutrifft – es handelt sich vielmehr um einen unbeachtlichen Irrtum im Beweggrund, der bereits im Stadium der Willensbildung und nicht erst der Äußerung zu Tage getreten ist.5 Eine Anfechtung soll hierbei auch dann nicht möglich sei, wenn der Erklärungsempfänger den Irrtum erkannt oder die Kenntnisnahme treuwidrig vereitelt hat, wobei dann der Erklärungsempfänger unter den Gesichtspunkten des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen oder der unzulässigen Rechtsausübung verpflichtet sein kann, den Erklärenden auf seinen Kalkulationsfehler hinzuweisen.6 Auch macht es keinen wesentlichen Unterschied, wenn die falsche Berechnung auf Fehlern einer vom Erklärenden verwendeten Software beruht.7
Wird die Kalkulation hingegen ausdrücklich zum Gegenstand der Verhandlungen, handelt es sich bei einem in der Berechnung auftretenden Irrtum um einen offenen Kalkulationsirrtum.8
Dieser wesentliche Unterschied zum verdeckten Kalkulationsirrtumveranlasste das Reichsgericht den offenen Kalkulationsirrtum als Anfechtungsgrund iSd § 119 Abs. 1 BGB zu werten, da hier die Kalkulation ja tatsächlich Inhalt der Erklärung geworden sei.9 Wörtlich heißt es in der Entscheidung vom 09. November 1906: „Nur dann ist dies [im Vergleich zur rechtlichen Behandlung des verdeckten Kalkulationsirrtums] anders, wenn diese Kalkulationen zum Gegenstande der für den Vertragschluß entscheidenden Verhandlungen gemacht wurden, wenn bei den für den Vertragschluß entscheidenden Verhandlungen dem anderen Teile erkennbar der verlangte oder angebotene Kaufpreis als ein durch näher bezeichnete Kalkulation zustande gekommener bezeichnet ist. Dann umfaßt der Inhalt der Erklärung bei dem Vertragschlusse auch diese Kalkulation, und ein Irrtum in dieser Kalkulation ist im Zweifel – er kann unter Umständen auch nur zu einer Richtigstellung des Kaufpreises führen – ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung, der die Anfechtung aus § 119 Abs. 1 rechtfertigt [sic].“10
Andererseits liegt genau betrachtet der Irrtum – wie auch beim verdeckten Kalkulationsirrtum – nicht in der Erklärung, sondern lediglich bei der Willensbildung. Der so - zwar fehlerhaft gebildete - Wille und Erklärung stimmen überein. Weil der Irrtum in der Willensbildung aber nicht von § 119 Abs. 1 BGB erfasst wird, lehnt die wohl herrschende Meinung in der Literatur die Möglichkeit zur Anfechtung auch hier ab.11
Zur Lösung der Fälle des offenen Kalkulationsirrtums wird vorgeschlagen, den Fehler im Wege der Auslegung zu beheben.12 Liegt im Einzelfall sodann der Schwerpunkt auf dem Rechenweg, sind die Parteien also gemeinsam von einer bestimmten Preisgestaltung ausgegangen, haben sie die Kalkulation gemeinsam angefertigt, wurde sich aber letztlich nur beim Ergebnis verrechnet, dann ist der wirkliche Wille der Parteien maßgeblich (falsa demonstratio non nocet - zur Vertiefung der falsa demonstratio non nocet der Haakjöringsköd - Fall (RGZ. 99, 147)) und der fehlerhafte Preis hinfällig.13 Unwirksamkeit des Vertrages soll vorliegen, wenn die Kalkulation und das Ergebnis nach Auslegung den gleichen Stellenwert besitzen – die Willenserklärung ist dann wegen ihrer Mehrdeutigkeit / Widersprüchlichkeit (Perplexität) nichtig auf Grund eines versteckten Dissens.14 Ferner kann eine Lösung über die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 2 BGB gesucht werden, wenn eine Einigung nur über die Endsumme zwischen den Parteien erzielt wurde, die aber Kalkulation bekannt und subjektive Geschäftsgrundlage geworden ist, über die Partei gemeinsam im Irrtum befinden.15
Der BGH hat sich bisher nicht ausdrücklich ablehnend zur Rechtsprechung des Reichsgerichts im Hinblick auf den offenen Kalkulationsirrtum geäußert.16 Das Gericht stellt zwar im bereits zitierten Urteil zum verdeckten Kalkulationsirrtum klar, dass es sich im entschiedenen Fall um einen solchen internen Fehler handelte. Gleichwohl scheint die kategorische Haltung des BGH, in diesem Fall und darüber hinaus auch bei positiver Kenntnis des Erklärungsempfängers vom Irrtum eine Anfechtungsmöglichkeit des Erklärenden abzulehnen und die Lösung der Problematik über andere Institute zu suchen, dafür zu sprechen, dass der BGH eher der Auffassung der Literatur folgen dürfte.17
- 1. Bamberger/Roth/Wendtland § 119 Rn. 33; Czuipka JuS 2009, 890.
- 2. Staudinger/Singer § 119 Rn. 51; Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 18f.
- 3. Rüthers/Stadler § 25 Rn. 40.
- 4. Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 18f.
- 5. BGH NJW-RR 1986, 569 (570); NJW 1998, 3192 (3193); Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 18f.; Bamberger/Roth/Wendtland § 119 Rn. 33; Rüthers/Stadler § 25 Rn. 41; Cziupka JuS 2009, 890.
- 6. BGH NJW 1998, 3192.
- 7. BGH NJW 1998, 3192 (3193).
- 8. Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 19; Rüthers/Stadler § 25 Rn. 42.
- 9. RGZ 64, 266 (268); 85, 326; 105, 406.
- 10. RGZ 64, 266 (268).
- 11. Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 19; Jauernig/Jauernig § 119 Rn. 10; Medicus Rn. 758; Rüthers/Stadler § 25 Rn. 42; Musielak Rn. 337; Cziupka JuS 2009, 890f.
- 12. Musielak Rn. 337.
- 13. Boemke/Ulrici § 12 Rn. 75; Rüthers/Stadler § 25 Rn. 42 (mwN).
- 14. Musielak Rn. 337; MüKo-BGB/Armbrüster § 119 Rn. 90; Palandt/Ellenberger § 119 Rn. 21; Boemke/Ulrici §12 Rn. 75.
- 15. MüKo-BGB/Armbrüster § 119 Rn. 91; Rüthers/Stadler § 25 Rn. 43.
- 16. vgl. MüKo-BGB/Armbrüster § 119 Rn. 88
- 17. vgl. BGH NJW 1998, 3192 insb. S. 3194f.